Jede Faser begeistert
Mehrmals schon haben Forschende aus Okinawa unsere Sammlung besucht und dabei viel Unerwartetes entdeckt.
Grosse dicke alte Wälzer liegen auf weissen Tischen. Darüber beugen sich zwei Köpfe. Begeistert blättern eine Frau und ein Mann in den Musterbüchern, die unzählige Stoffproben aus Okinawa enthalten. Jedes einzelne Textilfragment wird dann auch fotografiert.
Bereits drei Mal waren die Professor*innen Yoshikuni Yanagi und Setsuko Nitta von der Okinawa Prefectural University of Arts in Naha, Japan, im MKB schon zu Besuch und schauten sich im Depot auf dem Dreispitz vor allem Textilien an. Sie arbeiten an einem Projekt über Objekte aus Okinawa, die sich in Museumssammlungen in aller Welt befinden.
Von verschiedenen Kulturen geprägt
Die japanische Präfektur Okinawa besteht aus über 150 Inseln im Ostchinesischen Meer zwischen Taiwan und Japan. Die Schlacht um Okinawa war eine der letzten grossen Schlachten im Zweiten Weltkrieg. Sie kostete 1945 tausende Menschenleben. Und auch die Mehrheit der Kulturgüter wurde zerstört.
Güter, die von verschiedensten asiatischen Kulturen geprägt waren. Was sie besonders interessant macht. Allerdings waren einige noch vor dem Krieg in Museen in Europa sowie den USA gelangt. Und zu diesen forschen nun die beiden Japaner*innen.
Das MKB besitzt über 200 Objekte aus Okinawa. «Auch beim letzten Besuch im Dezember 2022 ging es vor allem um Textilien», berichtet Stephanie Lovász, Kuratorin Süd-, Zentral- und Ostasien. Sie erklärt, dass das MKB viele Gewänder besitze, die Qualität der Textilien sehr hoch und der Zustand sehr gut sei.
Dass die beiden Professor*innen von den Musterbüchern so angetan sind, kommt nicht von ungefähr. «Aus den vielen Stoffproben lassen sich Musterungs- und Färbetechniken ablesen, an denen sie besonders interessiert sind», sagt Lovász. Zudem waren die Musterbücher für die Japaner*innen eine unerwartete und überraschende Entdeckung.
Die Professor*innen stiessen durch die von Josef Kreiner 2003 herausgegebene Publikation «Japanese Collections in European Museums: Report from the Toyota-Foundation-Symposium» auf die Sammlung des MKB. Da sind alle Gegenstände aus Japan aufgelistet, die das Museum bis dahin besass. Erwähnt sind insbesondere die Gewänder aus Okinawa – aber z.B. nicht die Musterbücher.
Professor Yoshikuni Yanagi sei Spezialist für die bekannte Ikat-Technik und könne selber weben, erzählt Lovász. Deshalb zeige er sich besonders interessiert an Webtechniken.
Weitere Trouvaillen in der Sammlung seien die Objekte aus kamiko, Stoff aus Papiergarn, fährt Lovász fort. Diese kamen durch den einstigen Museumsdirektor Alfred Bühler ins Museum. Auch aus diesen Objekten lassen sich Herstellungsprozesse ablesen. Sie sagt, selbst einfachste Textilien seien in punkto Material, Technik und Farbstoffe spannend für die japanischen Forscher
Sie gehen ungemein systematisch vor
Jede Faser, selbst die unscheinbarste, wird genau angeschaut und mit dem mitgebrachten, in einem Rollkoffer verstaubaren Mini-Fotostudio abgelichtet. «Die Forscher gehen ungemein systematisch vor», berichtet Lovász. Und meint, sie sei jedes Mal von deren Enthusiasmus angesteckt worden. Die Arbeit werde dann zum Vergnügen.
Unter anderem wenn es um spezielle Exemplare aus Bananen- oder Tombianfasern geht – unklar ist weiterhin, ob es sich bei Tombian um Agavenfasern handelt. Die Forschenden bleiben dazu im Austausch. Aus dem Hintergrundwissen der beiden Professor*innen kann die MKB-Kuratorin viele Informationen generieren, die sie ihrerseits in die MKB-Datenbank einspeist – und in die Textilausstellung, die 2024 zu sehen sein wird.
Von der geplanten Publikation der Japaner erhofft sich Lovász, dass die MKB-Sammlung bekannter und Anlaufstelle für weitere Forschungen wird. Mit jedem Forschungsbesuch kann sich das Museum besser vernetzen.