Ohren auf!

Eine Serie vom 1. bis 24. Dezember 2022

Unsere Serie über Unvollkommenheit lässt Schüler*innen zu Wort kommen, die sich im Museum mit Ausstellungsobjekten der Ausstellung «Stückwerk: geflickte Krüge, Patchwork, Kraftfiguren»  auseinandergesetzt haben. Jede*r Schüler*in konnte zwei ausgestellte Objekte aussuchen und unter die Lupe nehmen. Wie sehen sie aus? Woher stammen sie? Welche Funktion hatten sie während des Gebrauchs? 

In Bezug auf das Thema Unvollkommenheit stellten die Schüler*innen Überlegungen an, inwiefern das ausgewählte Stück zusammengesetzt, patchworkartig repariert oder zweckmässig wiederhergestellt worden ist. Sie entdeckten Geschichte(n) über den Verfall aufbewahrter Alltagsgegenstände und Kraftfiguren aus aller Welt.

Die Serie läuft vom 1. bis 24. Dezember, immer Dienstag bis Freitag jeweils um 8.00 Uhr auf Radio X.

15. Ausgabe mit Elia, Leo und Nanuk über die Kraftfigur nkisi nkonde aus dem Kongo, einen Krug aus der Schweiz und ein Gefäss aus Algerien

Kraftfigur nkisi nkonde aus der Demokratischen Republik Kongo

minkisi wurden mit Medizinen ausgestattet, die in die Behältnisse am Bauch, auf den Schultern oder dem Rücken eingebracht waren. Um wirksam zu sein, musste eine Figur von einem Spezialisten aktiviert, also mit Energien aus dem Reich der Toten und Ahnen aufgeladen werden. Jeder eingeschlagene Metallgegenstand sollte die Kraftfigur dazu bewegen, die gestellte Aufgabe zu ‹erledigen›.
Der nkisi nkondi (Jäger-nkisi) mit erhobener Faust zeigt Aggressionsbereitschaft, die bei der Strafverfolgung, der ‹Jagd auf den Täter› eingesetzt wurde.

Krug aus der Schweiz

Objekte aus Kunststoff sind in heutigen Haushalten in den unterschiedlichsten Funktionen anzutreffen. Sie sind in der Regel nicht teuer und im Umgang robust. Doch auch sie können Schaden nehmen. Inzwischen gibt es Möglichkeiten, auch Plastikgefässe zu reparieren, damit sie nicht im Abfall landen. Schmelzbarer Biokunststoff wird in kleinen Portionen für den Hausgebrauch angeboten. Durch den Kontakt mit heissem Wasser wird er weich und modellierbar. In diesem Zustand können damit Bruchstellen geflickt, Griffe und Henkel wieder angeklebt oder – wie bei diesem Krug – neu modelliert werden. Die so reparierten Plastikgefässe stellen die ‹Wegwerfgesellschaft› infrage.

Gefäss aus Algerien

Es verblüfft, dass die ursprüngliche Form dieses Topfes rekonstruiert werden konnte, denn nur knapp die Hälfte des Ursprungsmaterials ist vorhanden. Die sechs Bruchstücke wurden im Museum zusammengefügt.
Der Krug stammt aus der Gegend der Gebirgskette Tassili n’Ajjer in der Sahara, die für ihre bis zu 10’000 Jahre alten Felsmalereien und archäologischen Fundstätten bekannt ist. Seine Bruchstücke wurden dem Sammler zufolge zwar an der Oberfläche gefunden, sind aber vermutlich neolithischen Ursprungs.

14. Ausgabe mit Emma und Moana H. über den Agnus Dei in Rahmen aus der Schweiz und den Patchwork-Quilt Baby Block aus den USA

Patchwork-Quilt Baby Block aus den USA

Patchwork-Quilts stehen für die USA als Schmelztiegel von Einwandernden. Beim Quilten oder Steppen werden die Oberseite, die Füllung und die Unterseite – also drei Schichten – zusammengenäht, so dass sich Kammern bilden und die Füllung nicht verrutschen kann.
Die Oberfläche besteht aus Stoffstücken, die zu einem geometrischen Muster zusammengenäht werden. Die optische Illusion der gestapelten Würfel entsteht durch die Stoffrauten in hellen, mittleren und dunklen Tönen. Bei Zusammenkünften, den Quilting Bees oder Quilting Frolics, trafen sich Frauen, um an einem Stück ihres eigenen oder einem gemeinsamen Patchwork-Quilt zu arbeiten und sich dabei auszutauschen.

Agnus Dei in Rahmen aus der Schweiz

Im Zentrum des Bildes ist eine Wachsmedaille: ein «Agnus Dei», hergestellt aus dem Wachs der Osterkerze, versehen mit dem Relief des Lammes Gottes und vom Papst gesegnet. Seine Schutzwirkung wird ergänzt durch kleinste Reliquienpäckchen, die zwischen den bunten Glassteinen fast nicht zu erkennen sind. Eine Reliquie muss nicht sichtbar sein, um als wirkmächtig zu gelten.

13. Ausgabe mit Nanuk und Enya über einen Jägerhemd der Côte d'Ivoire und einem Umhängetuch aus Indien

Jägerhemd von der Côte d’Ivoire

In ganz Westafrika gibt es Jägervereinigungen. Die darin organisierten Männer betreiben Jagd und sorgen für Nahrung. Sie verfügen ausserdem über medizinisches Wissen und spirituelle Kräfte, erheischen Respekt und geniessen gesellschaftliches Ansehen. Dazu tragen ihre ethischen Grundsätze bei: nicht lügen, nicht stehlen, nicht betrügen, die Gemeinschaft schützen, die Jägervereinigung respektieren und unterstützen.
Die Fertigkeiten eines Jägers, seine Erfolge und seine Wirkung in der Gesellschaft sind an den Applikationen seines Hemdes ablesbar.

Umhangtuch/Schal rehükhim aus Indien

Der Schal aus drei Webbahnen weist in der Mittelfläche 70 rote Rechtecke auf. Über die ganze Fläche sind 24 Kreise aus Gehäusen der Kaurischnecke appliziert. Der fast 100- jährige Schal gehörte Toshi Wungtung, dem kürzlich verstorbenen Ethnologen und Parlamentsabgeordneten Nagalands. Sein Grossvater erwarb das Privileg, den Schal zu tragen, nachdem er sich als erfolgreicher Krieger bewiesen hatte. Als er und seine Frau auch Verdienstfeste abgehalten hatten, durften die Schneckengehäuse appliziert werden: ein Zeichen für Personen und Familien von hohem Status und Wohlstand.

12. Ausgabe mit Moana H. und Leo über das Frauenkleid jumlo aus Pakistan und das Schamanische Gewand der Republik Sacha der Russischen Föderation

Frauenkleid jumlo aus Pakistan

Die Applikationen des Frauenkleides jumlo spiegeln die zahlreichen Einflüsse, die die Region Kohistan durch Handelsverbindungen und Pilgerströme prägten. Das Gebiet gehörte zu dem weitverzweigten Netzwerk der alten Seidenstrasse. jumlos sind für ihre Stickereien und Applikationen an Ärmeln, Brusteinsätzen und Röcken bekannt. Die Applikationen aus Metallknöpfen und Münzen klirren bei jeder Bewegung; diese Geräusche sollen alles Schlechte abhalten.

Schamanisches Gewand aus der Republik Sacha der Russischen Föderation

Schaman*innen der Sacha bezwingen Krankheiten, holen ‹verirrte› Seelen zurück, helfen bei wirtschaftlichen Unternehmungen und sagen künftige Ereignisse voraus. Dazu benötigen sie die Hilfe von Geistwesen, die in den Applikationen des Gewands bis ins 20. Jahrhundert als präsent gedacht wurden.
Diese metallenen Gegenstände übertrugen ihre Kraft auf die schamanische Persönlichkeit, sobald sie sich damit bekleidete. Im Laufe einer Karriere kamen metallene Gegenstände hinzu, wenn ein*e Schaman*in weitere Geistwesen in Dienst nehmen konnte. Die Anzahl der Anhänge korrelierte also mit der schamanischen Macht.

11. Ausgabe mit Elia und Emma über den Mönchsumhang kesa aus Japan und ein Patchwork-Stück aus Guatemala

Mönchsumhang kesa aus Japan

Der Mönchsumhang kesa ist ein rechteckiges Tuch, das aus Stoffstücken zusammengenäht wurde. Das Flickengewand ist Ausdruck der Besitzlosigkeit von Mönchen und Nonnen. In Japan werden buddhistischen Klöstern kostbare Stoffe gestiftet und zu kesa umgearbeitet.
Das Muster dieses kesa ist nur teilweise erhalten: Die dunkel gefärbten Seidenfäden sind aufgrund der verwendeten Eisenoxid-Beize zum Teil zerfallen, die anderen Farben sind verblasst. Die eingewobenen versilberten Papierstreifen haben sich durch Oxidation dunkel verfärbt.

Patchwork-Stück aus Guatemala

Der Ort Panajachel am Atitlan-See in Guatemala wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem Anziehungspunkt für Tourist*innen und Aussteiger*innen. Für den wachsenden Touristenmarkt wurden Produkte wie Rucksäcke oder Kleidungsstücke entwickelt und neue Techniken wie Patchwork-Arbeiten eingeführt. Für diese wurden Stoffreste oder ausrangierte Textilien verschiedener lokaler Maya-Webtraditionen verwendet.

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10. Ausgabe mit Ayana und Moana über ein Schale aus dem Emmental und den Sockel sendi aus Indonesien

Schale aus Langnau, Emmental, Schweiz

Die Schale könnte als Suppenteller gedient haben. Der Bruch in zwei Hälften wurde mit Leim behoben. Entlang der Bruchkante und am Gefässrand sind Teile der Glasur abgesplittert.

Sockel sendi, eines Hauspfostens mit Bhoma-Kopf aus Klungkung, Bali, Indonesien

Neben künstlerischer Qualität und ästhetischer Ausdruckskraft verkörpern Architekturteile Aspekte und Vorstellungen der hindu-balinesischen Religion und des damit einhergehenden Weltbildes. Die Dreigliedrigkeit in Ober-, Mittel- und Unterwelt bestimmt auch die Bauart der Gebäude, die ein Haupt (Dach), einen Körper (Wohnraum) und Füsse (Fundament) haben. Stützsockel (sendi) werden entweder im Fundament als Basis für Tragpfeiler verwendet oder dienen als Sockel der Pfeiler im Dachrahmen, die den Firstbalken stützen.
Eines der auffälligsten Verzierungselemente in der balinesischen Architektur ist der Kopf des Dämonen Bhoma. Man findet sein Gesicht mit den grossen, aufgerissenen Augen und den furchteinflössenden Reisszähnen an Tempel- oder Palasteingängen genauso wie an Stützsockeln. Als Sohn des Gottes Wisnu und der Erdgöttin Pertiwi wird er als Erd- und Unterweltdämon geboren. Auf Architekturteilen hat er eine apotropäische Wirkung: Er hält negative Einflüsse fern und wehrt böse Geistwesen ab.

 

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9. Ausgabe mit Enya und Jelena über einen Teppich aus Bulgarien und eine gedrechselte Reliquienkapseln aus Luzern

Teppich aus Bulgarien

Hemdsärmel, Rocksäume und Bordüren bulgarischer Trachten sind oft reich bestickt. Es sind diese aufwendig gearbeiteten Verzierungen, die ein Hemd oder eine Jacke zu einem besonders kostbaren Stück machen. Hier wurden wohl solche Teile von ausrangierter Kleidung zu einem Teppich zusammengefügt. An einigen Stellen ist die rote Naht deutlich sichtbar. Durch die alternierende Anordnung ähnlicher Elemente entsteht ein Rhythmus, der dem gesamten Teppich ein eigenes Muster verleiht.

Gedrechselte Reliquienkapseln aus Luzern

Die kleinen Kapseln aus Holz, Metall und Textil bergen christliche Reliquienpartikel, häufig mit einem Papierstreifen beschriftet. Es handelt sich dabei in der Regel nicht um tatsächliche Körperfragmente eines oder einer Heiligen, sondern um Stoffstückchen oder andere Materialien, die mit dem Leichnam in Berührung kamen. Auch sie gelten als heilbringend.
In einer Reliquienkapsel kann die Wunderkraft verschiedener Heiliger miteinander kombiniert werden, um beispielsweise auf Reisen den grösstmöglichen Schutz zu gewährleisten – je mehr, desto besser.

 

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8. Ausgabe mit Yael und Ayana über einen Malagan Fries aus Papua-Neuguinea ein Zierstück aus Indonesien

malagan-Fries aus Papua-Neuguinea

malagan bezeichnet neben Schnitzwerken auch mit ihnen verbundene Zeremonien, die zu Ehren von Verstorbenen nach langwierigen Vorbereitungen abgehalten werden. Während der Rituale gelten die Werke als belebt. Auf dem Höhepunkt der Feiern werden solche Friese zur Schau gestellt, bestaunt und bewundert. Unmittelbar nach ihrer öffentlichen Präsentation werden sie weggeworfen und dem Verfall überlassen. Als die Nachfrage nach diesen Kunstwerken stieg, gingen die Menschen auf Neuirland dazu über, die Werke nach den Ritualen direkt an Händler*innen und Sammler*innen zu verkaufen.

Zierstück mit karang tapel-Motiv aus Indonesien

Verzierungen von Gebäuden waren beliebte Sammlungsobjekte für Ethnolog*innen. Das Zierstück ist ein Dämonenkopf ohne Unterkiefer, mit floralem Bart und grossen Eckzähnen (karang tapel).

7. Ausgabe mit Pan und Moana über das Regencape aus Japan und den Stützbalken aus Peru

Regencape «mino» aus Japan

Rindenbast eines Linden- oder Ahornbaums, getrocknetes Seegras, schwarzer Seetang und jede Menge Binsen werden mit Schnüren aus Reisstroh zusammengehalten. Diese Elemente sind einzeln wenig spektakulär. Erst ihre Kombination, der Farbverlauf und die sorgfältige Arbeit transformieren sie zu einer eindrucksvollen Assemblage: zu einem japanischen Regenumhang mino. Dieses Werk aus Stücken ist ein Gebrauchsgegenstand. Lange wurde er zum Schutz vor Regen und Schnee getragen: über der Samurai-Rüstung genauso wie auf Reisen, bei Arbeiten auf dem Feld oder anderen Verrichtungen im täglichen Leben.
Einige Figuren im klassischen japanischen Theater tragen einen mino, wie auch Männer, die sich im Norden der Insel Honshu damit verkleiden, um zum Jahreswechsel durch die Strassen zu ziehen. Neuerdings ist das mino in der Cosplay-Szene populär, in der sich Menschen in Charaktere aus Mangas und Animes verwandeln.
Ein mino ist gleichermassen ein einzelnes Objekt und ein Ensemble; seine Herstellung bezeugt handwerkliches Können wie auch ästhetische Praxis. Bereits im 17. Jahrhundert inspirierte der Umhang den japanischen Dichter Matsuo Bashô (1644-1694): Der erste Winterschauer – Ein Strohmäntelchen wünscht sich auch der kleine Affe!

Stützbalken mit Bemalungen zur Hausweihung aus Peru

Im peruanischen Sarhua werden Häuser mit Hilfe von Freunden und Familienangehörigen gebaut. Ein Paar wird als Pate für die Weihung des Hauses ausgewählt. Seine Aufgabe ist es, den Stützbalken für die Decke herzustellen und zu bemalen. Die Widmung erwähnt ihre Namen und das Datum der Fertigstellung. Die Bemalung zeigt Heilige, Familienmitglieder und am Bau Beteiligte bei für sie typischen Tätigkeiten sowie die Sonne. In Sarhua werden heute bemalte Hausbalken unterschiedlicher Grössen für den Verkauf hergestellt.

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6. Ausgabe mit Lian und Lenny über das Hemd eines Musikers aus Mali und einen Baumstammsarg aus Indonesien

Hemd eines Musikers aus Mali

Bei öffentlichen Auftritten der Jägervereinigungen – Paraden, Begräbnisse, Rituale mit Opferhandlungen, um Gefahren wie Schlangenbisse oder Angriffe von Grosswild abzuwenden – bieten Musiker Preisgesänge zu den Klängen der Stegharfe und des Balafons dar. Diese Musiker spielen ausschliesslich für Jäger. Auch sie tragen Hemden, die mit Amuletten und Hinweisen auf Kenntnisse des Waldes bedeckt sind, sich jedoch in Schnitt und Design von jenen der Jäger unterscheiden.

Baumstammsarg aus Nord-Sulawesi, Indonesien

Früher wurden nichtadelige Verstorbene in der Region Minahasa auf Sulawesi in einfachen Holzsärgen bestattet: Ein Segment eines ausgehöhlten Baumstammes wurde senkrecht zur Hälfte in die Erde eingelassen, die verstorbene Person in Hockstellung hineingegeben und der Sarg mit einem Stein zugedeckt. Wie und weshalb die Sammler den Sarg erstanden, ist ungeklärt. Wollten sie das vergängliche Material vor dem Zerfall retten? Oder eine Bestattungspraxis dokumentieren?

 

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5. Ausgabe mit Moses und Kim über ein Seitentürstück aus Neukaledonien und eine Reliquienkapsel aus dem Jura

Seitentürstück aus Neukaledonien

Die dem Verfall preisgegebenen Seitentürstücke waren ein wichtiger Teil der lokalen Architektur. In den Häusern der chefs entschied der Ältestenrat über Allianzen, Kriege oder die Beilegung von Streitigkeiten. Diese Bedeutung wurde in der Architektur der Häuser aufgenommen. Den Eingang flankierten reich verzierte Seitentürstücke, die das Haus beschützten. Sie standen für die Hüter des Clans und vermittelten zwischen dem Geist der Toten und den Handlungen der Lebenden.
Zu den Trauerritualen eines hochrangigen Kanak gehörte eine spektakuläre Zeremonie. Die Onkel mütterlicherseits drückten ihre Trauer über den Tod ihres Neffen aus, indem sie mit Äxten auf die Seitentürstücke einschlugen. Die Schnitzereien trugen dabei Verletzungen im Gesicht oder am Rumpf davon.

Gedrechselte Reliquienkapsel aus dem Berner Jura

Die kleinen Kapseln aus Holz, Metall und Textil bergen christliche Reliquienpartikel, häufig mit einem Papierstreifen beschriftet. Es handelt sich dabei in der Regel nicht um tatsächliche Körperfragmente eines oder einer Heiligen, sondern um Stoffstückchen oder andere Materialien, die mit dem Leichnam in Berührung kamen. Auch sie gelten als heilbringend.
In einer Reliquienkapsel kann die Wunderkraft verschiedener Heiliger miteinander kombiniert werden, um beispielsweise auf Reisen den grösstmöglichen Schutz zu gewährleisten – je mehr, desto besser.

 

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4. Ausgabe mit Jelena und Julie über das «Tribal Print» aus Simbabwe und ein Patchwork-Tuch aus Ghana

Tribal Print aus Simbabwe

Wallen Mapondera verbindet in seiner Arbeit nationale und internationale Ereignisse mit persönlichen Erfahrungen. Dazu entwickelte er eine radikale abstrakte Sprache unter Verwendung von Fragmenten und Fundstücken: von Verpackungen (etwa von Nahrungsmitteln wie in seinem Werk «Tribal Print») und Pappkartons über zerrissene Zeltplanen und ausrangierte Bretter bis zu Eierschalen. Sein Interesse gilt der Unbeständigkeit und Vergänglichkeit von Bedeutungen und Werten, wie diese Materialien sie verkörpern. Dabei konzentriert er sich auf Transformationsmöglichkeiten, die den Materialien inhärent sind.

Patchwork-Tuch aus Ghana

Die Herstellung und Verarbeitung von Textilien oblag in vielen afrikanischen Gesellschaften den Männern. Dieses Tuch hingegen wurde vermutlich von Mädchen in einer Missionsschule hergestellt. Es besteht aus 163 rechteckigen Stücken industrieller Baumwollstoffe, die in Europa hergestellt wurden. Es zeigt eine bewusst gestaltete Komposition durch verschiedene längslaufende Bahnen. Papieretiketten verweisen auf die Verwendung von Resten verschiedener Stoffmuster. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um ein Tuch, mit dem junge Frauen das Nähen erlernten.

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3. Ausgabe mit Lenny und Pan über eine Kraftfigur aus der Demokratischen Republik Kongo und eine Teeschale aus Japan

Kraftfigur nkisi nkonde aus Yombe, Demokratische Republik Kongo

Kraftfiguren, minkisi, hatten viele Aufgaben: Sie wurden in der Strafverfolgung, Rechtsprechung, bei Abkommen und in Kriegen eingesetzt. Sie konnten Wohlergehen und Fruchtbarkeit fördern, Krankheiten heilen, vor Unfällen schützen oder negative Einflüsse abwehren, aber auch schaden oder bestrafen. Je nach Einsatz – ob für einen Herrscher, eine Verwandtschaftsgruppe oder ein bestimmtes Ereignis – variierten Rituale, beteiligte Personen sowie Grösse und Ausstattung der Figur. Körper- und Handhaltung dieser Figur signalisieren Herausforderung und Angriffsbereitschaft.

Teeschale chawan aus Japan

Die kundige Begutachtung und Wertschätzung der Teegeräte durch Gäste ist Bestandteil der japanischen Teezeremonie. Eine kintsugi-Reparatur betont den besonderen Charakter einer Teeschale, die ein Gast achtet und würdigt. Das Gewerbemuseum kaufte die Teeschale 1935 von dem deutsch-jüdischen Antiquitätenhändler Felix Tikotin. Während des Zweiten Weltkriegs mussten sich Tikotin und seine Familie verstecken. Nach 1945 nahm Felix Tikotin seine Arbeit als Kunsthändler für Asiatica wieder auf.

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2. Ausgabe mit Kim und Yaël über den Plätzlimaa und die engungun-Maskerade

Plätzlimaa-Figur aus Bern

Im Frühjahr wurden in Gemeinden des Bernischen Seelands grosse, geschmückte Eichenstämme durchs Dorf gezogen. Verschiedene Figuren begleiteten die sogenannte Trämelfuhr, darunter der Plätzlimaa. Sein Kostüm setzt sich aus unzähligen rechteckigen Stoffstücken zusammen, die auf einen zweiteiligen Anzug genäht wurden. Der Zickzack-Zuschnitt, der ein Ausfransen des Stoffes verhindert, sowie die ähnliche Grösse der Stücke lässt vermuten, dass die Plätzli eigens für diesen Zweck hergestellt wurden.

egungun-Maskerade aus Yoruba, Republik Benin

egungun bezeichnet eine ‹Maskerade› und damit verbundene Rituale. Bis heute finden sie bei Yoruba-sprechenden Gruppen zu Ehren der Ahnen statt, um sich ihrer Unterstützung zu versichern. Die Ensembles werden jedes Jahr mit wertvollen Stoffen und Applikationen ergänzt. Für das Design gelten höchste ästhetische Massstäbe; je vielfältiger die Herkunft und Anordnung der Materialien, umso imposanter der Auftritt und umso mächtiger der Ahne, dessen Kraft in den tanzenden Bewegungen zum Ausdruck kommt.

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1. Ausgabe mit Moses und Julie über einen Stützsockel aus Bali und einer Kalebassenschale aus Mali

Stützsockel sendi, aus einer Dachkonstruktion mit Bhoma-Kopf aus Bali, Indonesien, vor 1937

Neben künstlerischer Qualität und ästhetischer Ausdruckskraft verkörpern Architekturteile 
Aspekte und Vorstellungen der hindu-balinesischen Religion und des damit einhergehenden Weltbildes. Die Dreigliedrigkeit in Ober-, Mittel- und Unterwelt bestimmt auch die 
Bauart der Gebäude, die ein Haupt (Dach), einen Körper (Wohnraum) und Füsse (Fundament) haben. Stützsockel (sendi) werden entweder im Fundament als Basis für Tragpfeiler 
verwendet oder dienen als Sockel der Pfeiler im Dachrahmen, die den Firstbalken stützen. 
Eines der auffälligsten Verzierungselemente in der balinesischen Architektur ist der Kopf 
des Dämonen Bhoma. Man findet sein Gesicht mit den grossen, aufgerissenen Augen und 
den furchteinflössenden Reisszähnen an Tempel- oder Palasteingängen genauso wie an 
Stützsockeln. Als Sohn des Gottes Wisnu und der Erdgöttin Pertiwi wird er als Erd- und 
Unterweltdämon geboren. Auf Architekturteilen hat er eine apotropäische Wirkung: Er 
hält negative Einflüsse fern und wehrt böse Geistwesen ab.

Kalebassenschale aus Bamako, Mali vor 1987

Im Gegensatz zu Gefässen aus Ton sind Kalebassenschalen leicht, aber ebenso zerbrechlich. 
Risse werden repariert, und die Reparaturnähte belegen nicht nur die Wertschätzung 
solcher Gefässe, sie sind auch ästhetische Zeichnungen.
In Mali und der Côte d’Ivoire sind die Frauen der Schnitzer darauf spezialisiert, Kalebassen 
zu flicken, und bieten auf Märkten ihre Dienste an. Bei dieser Halbschale wurden an 
beiden Seiten des Sprunges mit einem Eisenstab kleine Löcher gebohrt, danach hat man 
den Riss mit einer Wulst aus Pflanzenfasern als Dichtungsmaterial verschlossen und mit 
einer zähen, biegsamen Faser zusammengenäht. Durch die ‹Narbe› bleibt die Bruchstelle 
sichtbar.

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