Übersicht

Auf den Spuren der Vorfahren

Eine Delegation aus dem mexikanischen Tecamachalco erhält von der Basler Regierung ein Faksimile des wichtigsten historischen Dokuments ihrer Stadt. Das Original ist in der Ausstellung «Memory» zu sehen.

Es ist Montag, 24. Oktober kurz vor 12 Uhr. Zwei Regierungsrätinnen und ein Vertreter des Kulturzentrums von Tecamachalco nähern sich vorsichtig einer Vitrine in der Ausstellung «Memory». Es liegt eine positive Spannung in der Luft.

Ganz still, fast ehrfürchtig, beäugen sie den ca. 2,44 auf 1,44 Meter grossen Lienzo. Es ist ein emotionaler Moment.

Drei Frauen stehen an einer Vitrine, in der eine Landkarte liegt. Rechts von ihnen steht ein Mann am Kopfende der Vitrine. Ganz rechts am Bildrand sieht man eine Hand.

Columba Castillo Gonzales, Diana María Villegas Chávez, Gloria Meister und Jose Villegas Reyes (v.l.) vor dem Lienzo

Das Lederobjekt gleicht auf den ersten Blick einer Landkarte, enthält aber auch Zeichnungen u.a. von Personen. Es ist zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert entstanden, um Ansprüche der indigenen Adligen in der Region Tecamachalco gegenüber der spanischen Kolonialmacht geltend zu machen.

Dabei trafen indigene und europäische Vorstellungen von Umwelt, Territorien, Genealogien und Besitzverhältnissen aufeinander. In Tecamachalco gilt das Dokument als Gründungsakte für das bis heute gültige Rechtsystem Mexikos. Es wurde zwischen 1828-1837 vom Basler Lukas Vischer in Mexiko gesammelt und ist seit 1844 im Bestand des MKB.

Teil des Lienzo: weisses Leder, auf dem Figuren aufgezeichnet sind.

Ausschnitt aus dem Lienzo. Herrscherpaare in Huilotepec, Oxotipan, Cuauhtepec und Tecamachalco

Ziemlich schnell erspähen die beiden Regierungsrätinnen ihre Stadt auf dem Lienzo. Sie liegt eingebettet zwischen zwei Felsformationen, die an Gesichtskiefer erinnern. Und auch weitere Orte werden entdeckt. Die Stimmung ist nun gelöst.

Angeregt tauscht sich die Dreierdelegation mit dem Ehepaar Meister aus, das den Besuch aus Mexiko mitorganisiert hat. Gloria Meister meint, jedes Mal, wenn sie den Lienzo sehe, sei dies ein besonderer Moment. Hier spüre sie die Verbindung zu ihrer Heimat ganz stark.

Ich war sehr aufgeregt

Meister lebt vis-à-vis vom MKB. Lächelnd erzählt sie, wie sie vom Lienzo im mexikanischen Radio gehört und sich auf die Suche in der Schweiz gemacht hat. Sie fand ihn schliesslich, gegenüber.

«Ich war sehr aufgeregt, dass etwas so Wichtiges aus meiner Heimatstadt, von meinen Ursprüngen hier in Basel ist», sagt sie. Und informierte die Behörden in Tecamachalco. Diese baten die hiesige Regierung um ein Faksimile.

EInfacher vermitteln

Diana María Villegas Chávez, Regierungsrätin für Jugend, kulturelle und soziale Angelegenheiten, betont, es sei der jetzigen Regierung ein Anliegen, die Suche nach kultureller Identität zu fördern. Deshalb sei es wichtig, ein solch wertvolles historisches Dokument zu besitzen. Dass sie nun einen Gegenstand vorzeigen könne, mache es leichter, Kultur und Geschichte zu verankern und v.a. auch jungen Menschen zu vermitteln.

Vier Personen stehen am Kopfende einer Vitrine, in der eine grosse Landkarte liegt.

Die Delegation aus Mexiko macht spannende Entdeckungen und tauscht sich darüber aus

Columba Castillo Gonzales, Regierungsrätin für Dienstleistungen und Infrastruktur, erklärt, es sei bewegend, hier zu sein, und etwas heimzunehmen womit sie zeigen kann, was hier gemacht worden ist. Der Plan sei, den Lienzo auszustellen, und damit das Wissen und den Beitrag zur Geschichte zu präsentieren. Künstler Jose Villegas Reyes sagt, es seien Ideen vorhanden, eine Gedenktafel anzufertigen und diese an einem öffentlichen, für alle jederzeit sichtbaren Ort aufzustellen.

Kontakte knüpfen

Alexander Brust, Amerika-Kurator am MKB, freut sich über den Austausch und das Teilen von Wissen. Der Lienzo sei ein hochkomplexes Dokument, das über eine lange Zeitspanne vom 11. bis 18. Jahrhundert entstanden ist. «Wir wissen viel», sagt Brust, «aber auch vieles nicht. Wir sind angewiesen auf das Wissen und die Wahrnehmung der Leute vor Ort.»

Er erhofft sich gute Kontakte. Für Künstler Villegas Reyes ist das der Anfang einer gemeinsamen Zusammenarbeit mit dem MKB, mit Basel. Er denkt an den Austausch von Kunstschaffenden. Regierungsrätin Villegas Chávez an den Austausch von Jugendgruppen. Sie will in Basel Allianzen schmieden, gemeinsame Projekte andenken und Freundschaften knüpfen. Beide Regierungsrätinnen hoffen, von der Kulturstadt Basel viel zu lernen.

In Mexiko wird eher auf die nationale Geschichte wertgelegt und diese verbreitet. Mit dem Lienzo kann Tecamachalco zur lokalen Geschichte beitragen. «Da steckt so viel drin», weiss Alexander Brust und staunt selber noch jedes Mal, wenn er damit in Berührung kommt.