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Bruno Manser spüren

Die Inventarisierung der Tagebücher des Basler Ethnologen und Umweltaktivisten war eine herausfordernde, spannende und emotionale Angelegenheit.

Eigentlich sind es keine Bücher, sondern mehrheitlich einzelne Bögen oder Doppelseiten. Die Tagebücher von Bruno Manser liegen in Mappen in grünen Archivkartons auf einem grossen Tisch im Depot am Tellplatz. Sie werden systematisch inventarisiert. Sie kamen bereits entsäuert und archivtauglich eingelagert und verpackt im Museum an, mussten da aber als Erstes in die Stickstoffanlage.

Worte entziffern

Kurator Richard Kunz und seine Assistentin Anna Vollmer Mateus haben sich vor mehreren Monaten an diese Arbeit gemacht. Neben dem Laptop liegt aufgeschlagen die Publikation des Christoph Merian Verlags. «Die Schrift ist da lesbarer», sagt Vollmer. Sie muss in der hauseigenen Sammlungs-Datenbank TMS nämlich die ersten und letzten paar Worte jeder Seite notieren. Die Einträge sind praktisch alle auf Deutsch, ganz selten mal auf Schweizerdeutsch.

Auf einem Tisch liegt ein aufgeschlagenes Buch mit Text und Bildern. Eine Hand in blauem Handschuh zeigt auf eines der Bilder. Dahinter steht ein Laptop.

Wichtiges Hilfsmittel bei der Inventarisierung: die Publikation des Christoph Merian Verlags

Anfänglich lesen sich die Tagebücher wie ein Reisebericht, erzählen Kunz und Vollmer. Thema ist die Natur, und Manser gibt viele schöne Eindrücke wieder. Nach und nach ändern sich die Einträge: Die Berichte werden politischer, festgehalten sind Verhandlungen mit Behörden und Konflikte. Kunz erwähnt die Beschreibungen von Routen der Bevölkerung im Wald, die gerade im Zusammenhang mit der Abholzung wichtig waren.

Bis ins kleinste Detail

Für die Ethnolog*innen zudem spannend sind die vielen Beschreibungen von Techniken, Tätigkeiten und Gerätschaften. «Manser geht bis ins kleinste Detail, das ist unglaublich», schwärmen beide. Für sie interessant sind zudem die Notizen zur sozialen Ordnung und alles zum Wortschatz.

Wird eine Seite inventarisiert, nimmt Vollmer zuerst jeweils die Masse. Sie hält Material und Technik fest. Danach notiert sie, ob die Seite Pflanzen- oder Tierteile aufweist – z.B. Federn oder Flügelteile. «Dies ist aus konservatorischer Sicht wichtig», sagt sie.

Es gilt viele Felder mehr in der Datenbank auszufüllen – und dies so präzis wie möglich. Als Hersteller wird natürlich Bruno Manser genannt, als Einlieferer die Erbengemeinschaft. Dass die Tagebücher dem Museum 2021 geschenkt wurden, wird ebenfalls festgehalten.

Unbeschreibliches Gefühl

Vollmer fotografiert zudem alle Umschläge. Scans von jeder Seite sind bereits vorhanden, ebenso analoge Diapositive.

Vollmer schaffte rund 20 Seiten in einem halben Tag. Ein Tagebuch besteht aus rund 40 Bögen mit je ca. 80-160 Seiten. Insgesamt sind es 16 Bücher.

Für Vollmer war die Inventarisierung eine tolle Aufgabe: «Es ist ganz speziell, die Seiten in den Händen zu halten. Es sind ja Unikate. Für mich war das ein unbeschreibliches Gefühl.»

Für sie ist auch der Mensch Manser in den Büchern präsent. Zum Beispiel, wenn er berührend eine Geburtsszene beschreibt, festhält, dass er helfen wollte, aber nicht durfte. «In späteren Büchern ist seine Empörung spürbar. Und man fühlt, er ist dort Zuhause.»

Auf einem Tisch liegt ein weisser Umschlag, in dem ein Bild mit Wald und Bergen liegt. Daneben liegt eine graue Mappe mit weiteren Umschlägen drin. Rechts hält eine Hand in einem blauen Handschuh einen Umschlag in der Hand, in dem ein Stück Papier mit Text und kleinem Bild liegt.

Erfürchtiges Blättern in den Tagebüchern

Auch Kunz gibt zu, es berühre ihn, wenn er die Tagebücher anschaue. «Ich war jung auf Borneo und habe dort von diesem anderen Schweizer gehört. Ich habe die Strickaktion mit Bundesrätin Ruth Dreifuss auf dem Bundesplatz mitbekommen.» Ihn erstaunt die unglaubliche Sorgfalt der Einträge und er hält deshalb die Bücher mit Ehrfurcht und Demut in den Händen.

Museum ist der richtige Ort

Kunz ist stolz, dass die Tagebücher nun in der Sammlung des MKB sind. Er sagt, ein Museum sei der richtige Ort, eine öffentliche, kantonale Institution. So könne dieses Erbe sachgerecht aufbewahrt, inventarisiert, ausgestellt, erforscht und zugänglich gemacht werden. «Zu erleben, wie etwas Tagesaktuelles zu einem historischen Dokument wird, ist faszinierend.»