Ein Teddy auf Weihnachten
Die Erforschung der Herkunft eines Bären aus unserer Sammlung entpuppt sich als wunderbare Weihnachtsgeschichte.
Co-Autorin: Reingard Dirscherl
Die Nummer 17 in der Ausstellung «tierisch!» ist ein Teddybär, der inmitten von anderem Spielzeug auf einem Gestell sitzt. Er wirkt erhaben – trotz fehlendem Auge und geflickten Pfoten. Die Besucherinnen und Besucher blicken zu ihm auf. Erinnerungen werden wach an eigene Plüschtiere, Emotionen kommen hoch.
In seinem Steckbrief heisst es, er sei ein Geschenk von anonym, aus dem Jahr 2012. Wir lüften nun seine Herkunft. Das Ganze liest sich wie eine Weihnachtsgeschichte, in zwei Teilen:
Teil 1
Eigensinnige Erinnerung
«Als ich ein Jahr und zwei Monate alt war, bekam ich einen Teddybären. Er sass unter dem Weihnachtsbaum.
Ich erinnere mich nicht, wann ich ihn das erste Mal in die Arme nahm. Ich nannte ihn Bär und hing sehr und lange an ihm. Er begleitet mich bis heute.
Wir wurden älter. Ich hatte Probleme mit den Füssen. Ein Orthopäde verpasste mir Einlagen. Bär hatte Probleme mit den Pfoten. Sie waren aus Filz. Nachdem aus ihnen die Holzwolle hervorgetreten war, nahm sich mein Vater der Pfoten an. Er stopfte sie mit gelbem Wollfaden.
Darauf übergab er mir den Bären und sagte stolz: ‹Später, wenn ich einmal nicht mehr bin, wirst du allen erzählen, dass dein Papa den Bären geflickt hat.› Damals kam er mir vor wie ein Held. Ich vermute, dass er sich selbst in diesem Augenblick auch so empfand.
Mein Vater ist vor über zwei Jahrzehnten gestorben, aber er hat Recht behalten. Denn auch Sie, liebe Leserin und lieber Besucher, kennen jetzt die Geschichte.»
Schöne Bescherung
Der Bär war 2012 in der Ausstellung «Weihnachtsgeschenke – Schöne Bescherung» zu sehen. Im Vorfeld war die Öffentlichkeit aufgerufen worden, Weihnachtsgeschenke mit besonderer Bedeutung vorbeizubringen. Der Bär von Reingard Dirscherl schaffte es in die Ausstellung.
«Das war ein Geschenk», sagt Dirscherl rückblickend. Sie hatte den Teddy vom Estrich geholt und zu ihm gesagt, er käme nun zu Ehren. In der Ausstellung stand beim Bären: «Er erfährt eine Aufwertung, es ist eine Wertschätzung an meinen Vater, der ihn verarztet hat. Damit hat er seine Aufgabe erfüllt.»
Als die Objekte nach Ausstellungsende den Eigentümerinnen und Eigentümern zurückgegeben wurden, holte Dirscherl – die fürs Museum Führungen macht – den Teddy zwar ab, bat jedoch die Mitarbeitenden vom Front Service, ihn zu begraben. Er hätte seine Mission erfüllt.
Teil 2
Auferstehung
«Doch der Bär ging seinen eigenen Weg. Er fand seinen Platz in der Sammlung, wo ihn Kuratorin Beatrice Voirol für die Ausstellung ‹tierisch!› auswählte. Wie er dorthin gelangte, hat er mir nicht erzählt. Dinge wie Bären haben es in sich und nehmen manchmal ihren ganz eigenen Lauf.
Als Beatrice uns Führungspersonen die Ausstellung präsentierte, sah ich ihn wieder. Mein Herz hüpfte für zwei oder drei. Als Museumsstück spielt der Teddybär nun seine Rolle im uralten Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Neben anderem Spielzeug und Aufstellfigürchen blickt er von oben auf die Besucherinnen und Besucher herab.
Er hat zwar nur noch ein Auge, aber ich erkenne ihn. Seine beigen Pfoten und die Flickversuche mit gelber Wolle sind ein eindeutiges Indiz. Mein jüngster Vorfahre spricht durch ihn: ‹Eigentlich könntest du nun den Bären zu unserem Stammestier erklären›, brummelt er.»
Neue Aufgabe
Dirscherl erzählt, es habe sie tatsächlich fast umgehauen, als sie den Teddy wiedersah. Er wurde gerettet – von wem, weiss sie bis heute nicht. «Meine Handlungsfähigkeit wurde ausser Kraft gesetzt. Der Bär ist eigenständig geworden», meint die Ethnologin. Er kam sogar in die Sammlung.
Dass er nochmals eine neue Aufgabe gefunden hat, freut sie sehr. «Als niedliches Kuschelobjekt hat der einäugige Teddy ausgedient. Auch er ist erwachsen geworden», sagt die Ethnologin. «In ‹tierisch!› hat er gelernt, unterschiedliche Aspekte im kulturellen Beziehungsnetz zum Tier aufzuzeigen. Er weiss es zu würdigen, nehme ich an. Ich stelle mir vor, dass er den Wunsch hegt, erneut auszureissen, um die Besuchenden im letzten Raum zu empfangen. Dort legen seine Artgenossen ihr tierliches Kleid ab, um sich in Menschen zu verwandeln oder als mythische Schöpferwesen und göttliche Inkarnationen in Erscheinung zu treten. Sie alle erzählen Geschichten, in denen die vertrauten Grenzen zwischen Natur und Kultur durchlässig werden.»