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Gassi gehen in der Sonne

Marianne ist sechs Jahre alt, als sie ein kleines, blaues Buch erhält. Darin malt sie bunte Blumentöpfe, Äpfel, einen Baum und Essbesteck. Ein uniformierter Mann geht mit seinem Hund in der Sonne spazieren.

Einhundert Jahre später liegen ihre Zeichnungen auf einem Tisch im Museum. Zusammen mit den Bildern vieler anderer Kinder helfen sie nun der Forschung.

Vieles wurde gezeichnet: Von Haushaltsgegenständen und Lebensmitteln bis zu Erlebnissen eines Uniformierten mit seinem Hund

Vieles wurde gezeichnet: Von Haushaltsgegenständen und Lebensmitteln bis zu Erlebnissen eines Uniformierten mit seinem Hund

«Es ist ein Geschenk, solche Sachen dort zu finden, wo man sie nicht vermutet», sagt Anna Lehninger. Die Kunsthistorikerin forscht unter anderem auf dem Gebiet der Kinderzeichnungen und gelangte über einen einhundert Jahre alten Aufruf in einer Zeitschrift ans Museum. Auf einen kurzen Austausch folgte jetzt der Besuch.

Zeichnungen aus der ganzen Schweiz

In Basel stammt der erste Aufruf, man solle Kinderzeichnungen einsenden, aus dem Jahr 1919. Er wurde verfasst von Eduard Hoffmann-Krayer, dem Schweizer Volkskundler und Begründer der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde.

«Auch wenn bei einer Zeichnung nicht die ästhetische Gestaltung im Vordergrund steht, so ist sie doch als Zeitbild bedeutsam.»

Die grosse Beteiligung dürfte ihn erstaunt haben: Zahlreiche Eltern und Lehrpersonen schickten Zeichnungen ein, aus Basel und der ganzen Schweiz. «Die Einsendung eines Tessiner Kindergartens umfasste gar 200 Blatt», erläutert Anna Lehninger, während sie die Bündel sortiert und betrachtet. «Auch wenn bei einer Zeichnung nicht die ästhetische Gestaltung im Vordergrund steht, so ist sie doch als Zeitbild bedeutsam.».

Auf einem Tisch stehen drei Kisten, randvoll gefüllt mit Kinderzeichnungen in kleinen Bündeln.

Kinderzeichnungen aus drei Jahrzehnten, sauber gebündelt

Die ersten Bilder der Sammlung stammen aus dem Jahr 1914 und wurden somit zu Beginn des ersten Weltkriegs gemalt. Die Einsendungen hielten an bis in die 1930er-Jahre, danach wurde es ruhig.

Bemerkenswert ist nicht nur der gute Zustand, sondern auch die Dokumentation. Bei vielen Zeichnungen wurde mitgeliefert, wann, wo und von wem das Bild gezeichnet wurde. Gab es eine Vorlage oder war es frei gemalt? Was wird gezeigt, was sind die Charaktereigenschaften des Kindes? Die Beschreibungen erstaunen teilweise: Ein junger Künstler wird hier als «ehrgeizig, aber schnell beleidigt» beschrieben.

Auf der linken Seite sehen wir ein Kind am Brunnen, auf der rechten Seite einen Elefanten.

Dieses Bild stammt von einem sechsjährigen Kind

«Mich berührt es, wenn eine so lange unberührte Sammlung angeschaut wird.»

Dass die Zeichnungen heute der Forschung zugutekommen, freut die zuständige Kuratorin Tabea Buri: «Es ist super, wenn jemand mit Interesse kommt und bei uns entsprechendes Material findet», beschreibt sie die Sicht des Museums und ergänzt: «Mich berührt es, wenn eine so lange unberührte Sammlung angeschaut wird.»