Heimat mit anderen Augen sehen
Heimat kann so selbstverständlich sein. Was, wenn man seine Heimat aber aufgeben und sich ein neues Zuhause suchen muss? Ein Gespräch mit Rstam Aloush.
Rstam Aloush ist Familienvater, lebt im St. Johann, hat Mathematik studiert – und ist aus Aleppo nach Basel geflohen. Seit seiner Ankunft am Rheinknie hat er eine Ausbildung zum interkulturellen Dolmetscher abgeschlossen. Nun macht er seinen Master in Mathematik und eine Weiterbildung zum interkulturellen Vermittler. Ab Mai zeigt Rstam Aloush im Rahmen der Stadtführung «Wann bin ich endlich angekommen» sein Basel.
MKB: Wir sitzen hier am Rhein. Was verbinden Sie mit diesem Fluss?
Am Anfang fand ich den Rhein einen schönen Ort, auch um sich mit Freunden zu treffen. In Aleppo haben wir keinen Fluss, und ich war auch nur ein oder zwei Mal am Meer. Ich geniesse das Wasser. Man will ihn einfach fliessen und laufen lassen, der Fluss kennt keine Grenzen.
Rstam Aloush: Auch die Helvetia-Statue bei der Mittleren Brücke spielt eine Rolle in Ihren Stadtrundgängen…
Ich habe erst hier gelernt, dass ein ganzes Land einen Menschen als Symbol hat. Zuerst wusste ich nicht, ob es ein Mann oder eine Frau ist. Aber beim ersten Blick sah sie aus wie ein Retter. Sie hat auch einen Koffer und ich dachte: «Vielleicht ist sie geflüchtet.» Ich habe meine Situation in ihr wiedererkannt.
In den Stadtführungen zeigen Sie Besucherinnen und Besuchern «Ihr Basel». Wie beschreiben Sie die Stadt?
Basel ist schön. Auch, weil Basel klein ist. Grosse Städte sind oft laut, sie haben Stau und die Distanz zwischen den Menschen ist grösser. Die Stadt hier ist aber bunt, die Fasnacht finde ich zum Beispiel super. Nach der Fasnacht habe ich die Musiker ohne Verkleidung gesehen, sie waren so ernst und nicht mehr bunt. Musiker sollten doch glücklich sein? (lacht)
Wenn man neu ankommt, sucht man seine Identität.
Welche Reaktionen erleben Sie auf Ihre Stadtrundgänge?
Die Nachfrage ist gross. Viele Menschen, die mein Land besucht haben, zeigen grosses Interesse. Ich erlebe auch Emotionen. Als ich einmal angefangen habe, hat eine Frau plötzlich geweint. Ich möchte nicht einfach von Problemen erzählen, sondern mit den Leuten sprechen.
Was sollen Menschen nach Hause nehmen?
Ich kann Menschen nicht ändern, das müssen sie selbst machen. Ich sehe mich aber als Vertreter aller Migranten und will das Leben der Migranten zeigen. Meine Geschichte und mein Weg hierher war nicht sehr kompliziert, ich habe die Probleme aber in meiner Arbeit als Dolmetscher gesehen. Es gibt viele Schwierigkeiten, Missverständnisse, Konflikte. Ich möchte das aufzeigen und etwas auslösen. Es wäre schön, könnte ich etwas verbessern.
Was braucht man, um sich «beheimatet» zu fühlen?
Das braucht sehr viel. Ich denke, die Menschen sind das wichtigste, egal, wie das andere ist. Wenn man mit den richtigen Menschen zusammen ist, kann vieles auch nicht so gut sein. Wenn man neu ankommt, sucht man seine Identität und will auch das Land der Herkunft nicht verlieren. Seit ich hier bin, feiere ich zum Beispiel alle syrischen Feste. Das habe ich vorher nicht gemacht. Hundert Prozent in der «Heimat» kann ich aber nicht sein. Ich lebe hier wie eine neue Person, entwickle ein neues Zuhause.